Der andere Blick

Das Märchen von der schweigenden Mehrheit: Die Teilnehmer der deutschen Demos «gegen rechts» sind vor allem grün und links

Für die Proteste gegen angeblich geplante Deportationen von Deutschen mit Migrationshintergrund gibt es seit Wochen Lob von Politikern und Medien. Ein Aufstand der Mitte der Gesellschaft sei das, heisst es immer wieder. Von wegen.

Beatrice Achterberg, Berlin 446 Kommentare 3 min
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Protest gegen die AfD in Berlin im Februar 2024.

Protest gegen die AfD in Berlin im Februar 2024.

Hami Roshan / Imago
Beatrice Achterberg, Redaktorin NZZ Deutschland

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Der Verfassungsschutzpräsident war einer der Ersten. Anfang Januar appellierte Thomas Haldenwang in einem ARD-Interview an die «Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit», endlich Position zu beziehen «gegen Extremismus in Deutschland». Es schien, als ginge der Wunsch des Geheimdienstchefs in Erfüllung. In den folgenden Wochen kamen Hunderttausende zusammen, um «gegen rechts» im Allgemeinen und die AfD im Besonderen zu demonstrieren. Anlass war die Berichterstattung über ein angebliches «Geheimtreffen» in Potsdam, bei dem Vertreter der Partei, Neonazis und Unternehmer geplant haben sollen, Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft ausser Landes zu schaffen.

Lob von SPD und Grünen

Kaum ein hochrangiger deutscher Politiker liess es sich seither nehmen, die Demonstrationen zu loben – und die vermeintlich daran teilnehmende Mitte der Gesellschaft. Der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil etwa teilte mit: «Ich sage der AfD in aller Deutlichkeit: Das ist die Mehrheit der Menschen in diesem Land. Das ist das moderne Deutschland.» Auch die Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang rühmte die Proteste: «Wir sehen, die Mitte dieses Landes steht auf, um unsere demokratische Grundordnung zu verteidigen.» Von wegen.

Eine nun vorgestellte Studie der Universität Konstanz bringt das Narrativ von der demonstrierenden Mitte ins Wanken. Bei einer Befragung von wahlberechtigten Demo-Teilnehmern nach ihrer politischen Orientierung stellte sich heraus: Satte 61 Prozent hatten bei der Bundestagswahl 2021 die Grünen gewählt. 65 Prozent ordneten sich politisch links der Mitte ein, 5 weitere Prozent links aussen. «Mitte-rechts» verorteten sich nur 3 Prozent.

Mehrheit bei «Demos gegen rechts» ordnet sich der linken Mitte zu

Politische Orientierung bei den befragten Demonstrationsteilnehmern, in Prozent (Selbsteinschätzung)

Von einer «schweigen Mehrheit» kann also nicht die Rede sein – eher von einer sehr grünen und linken Minderheit, die als Mehrheit dargestellt wurde. Wähler der bürgerlichen Parteien waren laut der Studie bei den Demos nur schwach vertreten. 8 Prozent gaben an, CDU und CSU gewählt zu haben, 3 Prozent FDP.

Eine echte Überraschung ist das nicht. Schon bei den Aufrufen zu den Demonstrationen verschwamm vielerorts die Grenze zwischen rechts und rechtsextrem. Dass sich die gesellschaftliche Mitte vom extremen Rand abgrenzen will, ist gut und richtig. Eine Abgrenzung von demokratisch rechten, also konservativen Positionen grenzt allerdings weite Teile des bürgerlichen Lagers aus – und damit einen grossen Teil der demokratischen Mitte.

Mehrheit der «Demos gegen rechts»-Teilnehmer wählte bei der letzten Bundestagswahl die Grünen

Zweitstimme der Teilnehmer der «Demos gegen rechts» bei der letzten Bundestagwahl

Schon vor der Konstanzer Studie gab es Anlass, am Bild der protestierenden Mehrheit zu zweifeln. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa ergab, dass nur 37 Prozent der Deutschen die Demos unterstützen. Das hielt viele Medienvertreter nicht davon ab, geradezu euphorisch über die Proteste zu berichten. Vom «Aufstand der Anständigen» war im «Tagesspiegel» die Rede. Der «Spiegel» feierte die «gelebte Demokratie». Und die «Süddeutsche Zeitung» wärmte sich an dem «befreienden Gefühl, unter Demokratiefreunden zu sein». Ja, aber vornehmlich unter links-grünen Freunden.

Das schiefe Bild vom Protest passt zur kritiklosen Berichterstattung über die geschickte Erzählung des Mediums «Correctiv». Teile von dessen Recherche über das Potsdamer Treffen sind inzwischen fragwürdig geworden. Für angebliche «Deportationspläne» gegen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund, die sowohl Journalisten als auch Politiker aus dem Artikel ableiteten, fehlt bis heute jeder Beweis. Doch der Spin hat sich durchgesetzt, er wird sogar vom Kanzler wiederholt.

Auf eine fragwürdige Berichterstattung folgte ein falsches Narrativ einer sich erhebenden Mehrheit. Tatsächlich ist es wohl eher ein kleiner Teil der gesellschaftlichen Mitte, der sich seit Wochen selbst vergewissert, auf der richtigen Seite zu stehen.

446 Kommentare
Christa Wallau

Dieser Befund wundert  mich nicht.  Was bei den Demonstrationen "gegen Rechts" stattfand, waren Propaganda-Veranstaltungen der Ideologen, die seit langem mit ihren Vorstellungen Deutschland beherrschen:  GRÜNE und LINKE.  Daß dieses Faktum die Medien (vor allem das Fernsehen nicht hindert, so zu tun, als handele es sich dabei um die "Mitte" der Gesellschaft (aufrichtige Demokraten!) kann auch niemanden verwundern, der weiß, daß die Mitarbeiter dort zu 90% grün bzw. links wählen.  Viel schlimmer ist die Tatsache, daß  CDU/CSU, FDP und sogar die Kirchen sich mit diesen Ideologen gemein machen und so tun, als  stellten die Demonstranten den Durchschnitt der im Kern "guten" deutschen Gesellschaft dar.  Ich kann mich nicht angewidert genug von diesem üblen und lächerlichen Theater abwenden und jedem klipp und klar meine Meinung dazu sagen - ob es ihm gefällt oder nicht.  Die Zeit des rücksichtsvollen Small-Talks ist bei mir längst vorbei. 

Stefan Uhlig

Nicht überraschend. Aber die CDU fand die Demos auch ganz toll und beteiligte sich am linken Aufmarsch. Kaum einer von den Konservativen fand den Mut, hier Distanz zu wahren.

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